Familiar faces : Zu den Arbeiten von Anne-Do Hubert
Von Silvia Henke*
Anne-Do Huberts Arbeiten spielen im Zwischenraum von Bild und Objekt, von Figur und Gesicht. Und: sie sind bevölkert. Nicht, dass wir es mit Menschen zu tun hätten. Die kleinen personnes etwa erinnern uns zwar an Menschliches, aber wenn wir genauer hinsehen, entziehen sie sich dieser Erinnerung, und wenden sich strikt einander zu. Und sie tun dies nach dem Prinzip der Ähnlichkeit. Diese Wesen in verschiedenen Formen behaupten in allen materiellen Inkarnationen eine sture Ähnlichkeit untereinander, so dass man sich wie in einem fremden Stamm fühlt, wenn man sich ihnen nähert. Aber was ist Ähnlichkeit? Es ist das Erlebnis vielfacher Bindungen, die wie unsichtbare energetische Fäden zwischen Menschen und Dingen verlaufen und die sich kaum je verdeutlichen lassen. Man denke an einen Begriff wie Familienähnlichkeit! Sie leuchtet immer ein und ist nie klar. Will man sie präzisieren, verläuft sie im nichts. Solch unlokalisierbaren und doch unabwendbare Bindungen gehen von den Wesen aus, die Anne Do Huberts Objekte bevölkern. Dabei sind die Wesen niemals eins mit den Objekten: sie bevölkern sie in verschiedener figuraler oder piktorialer Gestalt, aber sie scheinen nicht in den Objekten zu wohnen, sondern sich dort nur kurz eingefunden zu haben. Dabei haben wir es kaum mit Körperfülle zu tun – nichts mit Fleisch und Knochen – dafür umso mehr mit Körperhüllen – Haut. Und obschon diese Körperhülle jäh vom organisch geäderten zum künstlich eingefärbten changieren kann – die Ähnlichkeit der personnes wird damit nicht unterbunden.
Und sobald wir merken, dass dieses Prinzip der Ähnlichkeit auch in die Gesichter eingegangen ist, ist die Lust der Identifizierung geweckt. Ist es nicht so, dass wir wissen wollen, wessen Gesicht sich hier durch unzählige Bearbeitungen, Kopien und Unschärfen hindurch zeigen könnte? Das eine Gesicht, Ur-Gesicht, Urheber aller dieser kleinen Wesen? Und uns damit auf die
Suche machen nach einem Ordnungsprinzip, das besagt: etwas muss am Anfang stehen. Nun ist das Reich der Ähnlichkeit nicht unbedingt ein hierarchisches im Sinne einer zeitlichen Abfolge, also muss sich etwas finden lassen, was das Prinzip der Ähnlichkeit überspringt und einen Ausgangspunkt setzt. Ich meine, es zu sehen. Und zwar im eindeutigen Sinn von Sehen als einem Bild, das man sieht, weil es einen anblickt. Nun gibt es im ganzen bevölkerten Kosmos von Anne-Do Huberts Objekten kein einziges Gesicht, das blickt, die Augen richtet – ausser dem Bild der Mutter, kopiert auf eine Seidenpapierbüste, aus dem transparenten weiblichen Corpus herausblickend, deutlich, strahlend, lebendig - wie sonst niemand. Pas comme personne, mais comme une personne, müsste man wohl präzisieren, um die Differenz zwischen diesem Bild und den anderen Wesen zu setzen. Und wer Anne Do Hubert kennt, muss sich nicht sagen lassen, dass diese Person die Mutter der Künstlerin ist. Es ist mehr als die Ähnlichkeit, die dies nahe legt, es ist die Position dieser Arbeit und ihre Aussage. Von Winnicott wissen wir, es ist der Glanz in den Augen der Mutter, der ein Kind beseelt. Nachdem es deren Körper verlassen hat und oft ein Leben lang ist es dieser Glanz in den Augen der Mutter, den wir suchen und vermissen und verlieren und wiederwollen, durch alle Verluste, Nächte und Träume hindurch. Es ist das Erwecktwerden, das mehr heisst als auf die Welt kommen. Deshalb deutet die weibliche Genealogie der fragilen Seidenpapierbüsten auch das Faktum der Natalität nur an. Wir sehen nämlich keinen Schoss, wir sehen hohle Büsten mit Brustbildern einer weiblichen Genealogie, zusammen gehalten durch diesen Blick der Mutter, der nirgendwo aufgefangen und erwidert wird. Die Mütter also in Gestalt einer Ahnengalerie, die das bekannte Prinzip männlicher Filiation subtil aber nachhaltig ironisieren. Was aber ist das für ein mütterlicher Blick, der aus dieser Ahnengalerie herausstrahlt und dabei ebenso erweckt wie alle anderen Gesichter still legt? Blickt man auf die kleinen Puppenwesen oder die in Seidenkissen ruhenden kopierten Säuglingsköpfe muss man sagen, dass hier das weibliche Prinzip der Natalität zu einer ästhetischen Arbeit der
Transformation wird. Was tut eine Mutter, wenn sie nicht ihre Augen, sondern ihren mit Photoblick auf ein schlafendes Baby richtet? Ist dies nicht die Rücknahme der Schöpfung? Diese Frage wird bei Anne-Do Hubert grundsätzlich erweitert, indem sie den mortifizierenden Blick des mütterlichen Kameraauges auffängt auf einem Kissen, das alle Ordnungen stört. Der weiche Untergrund des Abbilds, einst in die Fläche der Photographie gebannt, kehrt zurück und lässt sich vom Abbild erdrücken. Und das könnte das Geheimnis von Anne-do Huberts Arbeit sein. dass im Prozess zwischen Abbild und Ausdruck, Körperform und Körperabdruck, Umriss und Spurensicherung aus der weiblichen Genealogie eine künstliche und künstlerische Generation wird. Die vertrauten Gesichter und Wesen, die an so vieles erinnern, treten zurück in einen unpersönlichen Verweisungszusammenhang, für den nun keine Erinnerung mehr Pate steht. Plötzlich sieht man sie nur noch davonfliegen, in der Wand verschwinden, in der Photo-Kopie verblassen und befinden uns wieder in einem bevölkerten Reich von Spuren. Kein klares Bild, das aus der Dunkelkammer des Gedächtnisses auf die sichtbare Bühne der Erinnerung tritt. Nur Umrisse, Kopien, Rekonstruktionen der einen verblassenden Kindheitsszene, die verrät: da war es einmal, das Glück der Kindheit, aber nur vielleicht. Denn dreht man sich ab, ist man wieder bei den längst jeder Kindheit entlaufenen Puppen und ihrem Gegenstück, den Masken, die der Frage nach dem Glück stumm und starr höhnen. Dazwischen – zwischen der ganz persönlichen Frage nach dem Glück und dem höhnischen Nein der Maske – entfaltet die Kunst von Anne-Do Hubert ihre Wirkung.
* Silvia Henke, Dr. phil., Literatur- und Kulturwissenschaftlerin, Publizistin, Dozentin für Kulturtheorie an der Hochschule für Kunst und Gestaltung in Luzern, wohnt in Basel.