Anne-Dominique Hubert


Anne-Dominique Hubert: Hysteriques
 

Die Frauen schweben, fallen wie im Traum, sind zu eig- enartig schmerzhaften, aber auch embryonalen Stellungen verkrümmt, bleiben in sich gekehrt oder treten aus der Tapetenwand hervor. Und verschwinden gleichzeitig wieder in der Wand.
Sind sie blosse Einbildung, sind sie real, sind sie ein Muster? Musterfrauen?
Geschickt lässt Anne-Do Hubert ihre Frauen im Dekors eines bürgerlichen Intérieurs auftauchen und verschwinden. So erinnert sie daran, dass Frauen die längste Zeit in unserer Kultur nichts anderes waren als notwendige, zuweilen ange- nehme „Hintergrundgeräusche“. Dass Ibsen sie als Sing- vögelchen und Puppen beschrieb, bis sie sich, aus dem un- aufhaltsamen Hintergrundmäandern eines Klimt, im letzten Jahrhundert zu eigener Form und Dasein befreiten.
Die Frauen sind nackt und die Wand erinnert an die eines Boudoirs; Hubert zeigt damit gleichsam die dunkle Rück- seite der bürgerlichen Kultur, die Hysterie, mit der man die weibliche Lust und das Begehren pathologisierte. Hubert nimmt die Körperinszenierungen der Frauen auf und trägt sie vom Schmerz zur Lust, vom Krankenzimmer ins Boudoir. Aus dem Betrachter wird ein Voyeur des Schmerzlautes.
Ist es der Betrachter, der die Frauen im Augenblick des Sehens noch einmal in jene Symptomatologie einer von Männern erfundenen Hysterie zurückstösst? Die Rückseite der gemusterten Tapeten – die aus dem Jahre 1939 stam- men – zeigen die Frauenkörper von Nähten durchzogen und von den Einstichen durchlöchert. Durchlässig erscheint die Wand von der systematischen Erniedrigung des Frauenkör- pers im Patriarchat bis zu jenen Gräueln des Zweiten Welt- kriegs, die durch die Tapetennummern evoziert werden. Zugleich sind es die (üblichen) Strickmuster, die die Frauen- körper zerschneiden, partialisieren und fragmentieren. Stra- tegien der Lust wie der Marter.
Anne – Dominique Huberts Arbeit ist ein Kabinettstück verdichteter, komplexer weiblicher Kunst- und Kulturge- schichte.
Die Scham, sie als Mann zu betrachten und zu begrei- fen, ist Teil eines geschlechterübergreifenden Erkenntnis- prozesses, der sich dieser Kunst schuldet. Befreiend bei all den historischen, imaginären, farbigen Räumen bleibt die Leichtigkeit, mit der uns Huberts Frauen entgegen und davonschweben.


 

Martin R. Dean