Anne-Dominique Hubert


Metapher, Zeit, Griechenland – zu den „Empreintes“ und Fotoobjekten von Anne Dominique Hubert

Silvia Henke

Die Ausstellung von Anne-Do Hubert in den Gängen der Psychiatrischen Klinik in Liestal trägt keinen Titel - wie auch die einzelnen Arbeiten ohne Titel sind; sie lassen sich auf ein Hinsehen in zwei Gruppen unterteilen, die gelbe Gruppe der „empreintes“ und eine blaue der Fotografien. Dazwischen ein grauer Grund. Ich möchte meine Überlegungen und Betrachtungen zu den beiden ausgestellten Werkgruppen unter drei Aspekte stellen. Der erste heisst: Metapher, der zweite Zeit und der dritte Griechenland. Alle drei Aspekte folgen ersten Impressionen, die sich für mich einstellten vor den Arbeiten und die sich auch bei näherer Betrachtung als taugliche Zugänge erwiesen haben.
 

1. Metapher

Im Gespräch mit der Künstlerin über die hier versammelten Arbeiten ist mir ein Begriff sofort aufgefallen: „Seidenhaut“. Anne-Do Hubert hat den Begriff verwendet für den Entstehungsprozess der gelben Papierarbeiten. Metaphern wie diese sind Transportmittel – was der griechische Name ‚metaphorein’ ja besagt – und sie sind mehr. Wer immer über Kunst spricht oder schreibt, weiss: ohne Metaphern geht gar nichts, kein Transport, keine Übersetzung, ja: keine Vorstellung, keine Einfallstür in die Imagination, die im sichtbaren Bild schlummert.
Die Metapher „Seidenhaut“ bezieht sich wie gesagt auf einen Arbeitsprozess, aber sie greift auch über auf das Produkt: Das Papier der gelben Wandbilder ist einmal Haut und einmal Seidenpapier, ist also Bildträger und Haut eines Objektes zugleich. Doch um welche Häutung geht es? Hier zeigt sich auch die präzisierende Kraft von Metaphern für technische Verfahren: denn das Papier ist ein Abdruck; die Haut ist das Abziehbild eines Betonbodens. Dieser Betonboden ist sichtbar und lebendig geblieben im Papier, das ja seine Haut geworden ist. Insofern ist das Wandbild hier zugleich die Aufrichtung eines Bodenbildes – oder eben: Bodenhaut, rissig und porös wie die Beschaffenheit des Betons. Georges Didi-Huberman wird seit Erscheinen seines Buches „Ähnlichkeit und Berührung“ als Referenz genannt, wenn es um den Abdruck in der Kunst geht.    Da er als Kunsttheoretiker eine wichtige Quelle für die Künstlerin selber ist, wäre er hier zu nennen. In seinem Buch verhilft er dem Abdruck (insbesondere dem Körperabdruck) als der authentischen Seite eines Bildes zu ihrem Recht und positioniert ihn – anders als die traditionelle Kunstgeschichte – nicht als mechanisches und deshalb minderwertiges Bild, sondern als eigenen Artefakt. Bezogen auf die Arbeiten von Anne-Do Hubert lässt sich aus dem Prinzip von Ähnlichkeit und Berührung ableiten: Das Papier ähnelt dem Boden, weil es in ihn berührt hat, abgezogen oder eben gehäutet hat. Die Metapher der Seidenhaut in den Papierarbeiten von Anne-Do Hubert trägt die Spur dieses kunstgeschichtlichen Streites zwischen reinem und unreinem Bild weiter. Es ist letztlich ein Streit um die Verwandlung von Natur in Kultur. Natur das wäre der Boden, der Körper, von dem jeder Begriff von Haut abgeleitet ist, das Licht; Kultur das Bild, das Kunstwerk. Natürlich siegt meist die Kultur in diesem Streit, davon erzählen alle Mythen, aber ich würde sagen: sie halten sich bei Anne Do Huberts Arbeiten gut im Schach. Das Ergebnis ist – und das betrifft jeden Abdruck –  ein ungelenkes Bild: ungelenk, weil nicht gesteuert vom Auge, also auch zerbrechlich und doch voller Energie. 


2. Zeit

Die Körperumrisse, die sich einst auf dem Betonboden abzeichneten, waren gezeichnete Schattenumrisse einer Papierfigur aus Anne-Do Huberts künstlerischem Kosmos. Das ursprüngliche Bild ist längst vom Regen fortgewaschen. Aber was wäre schon das Original? Geworfen wurden die Schattenrisse von der Figur, die über dem Betonsockel im Wind hing; die Künstlerin zeichnete ihren Schatten in regelmässigen Zeitabständen auf. Wir sehen sie auf einem der Bilder hier freigestellt, allein, auf den andern vielfältig wiederholt wie in einer unendlich komplizierten Choreographie.  Deshalb sehen wir weniger die Figur als Gestalt oder Körperumriss, sondern eigentlich ein Zeitprotokoll, eine Mischung aus Tanz und Sonnenuhr, bewegte Zeit und gemessene Zeit. Wieder also begegnet man Mechanik und Zufall als natürlichem wie künstlerischem Prozess. Hier kommt der Forschergeist in Anne-Du Huberts Arbeiten zum Tragen: sie sind Materialforschung im Übergang von Stein zu Papier und hier nun auch Zeitforschung in Sachen Verwandlung von natürlichem Zeitlauf in einen bildnerischen. Aus Zeit ist Zeitlichkeit geworden, ein Sommernachmittag zeichnet sich ab und widerspricht dabei natürlich allen technischen Vorstellungen von Zeitmessung.   Obschon die Umrisszeichnungen getreu der Natur folgten, war die Figur zu luftig, zu bewegt, um ein regelmässiges Zeitbild abzugeben; die Zeit wirbelt nun also im Bild herum wie einst die Figur am Himmel. Tatsächlich aber ist die Figur selber in Anne-Do Huberts Werk schwer fixierbar: sie ist der Serie der „personnes“ und der „femmes-lettres“ entsprungen, ist also auch Widerhall und Echo des eigenen künstlerischen Kosmos und bewegt sich kategorisch zwischen Boden und Himmel – in der blauen Serie der Fotoarbeiten ist sie zum Teil auch nicht mehr unterscheidbar vom Blau des Meeres. Dort – damit komme ich auf die Serie der blauen Fotoarbeiten zu sprechen und sage bewusst ‚dort’, weil blau immer die entfernteste aller Farben ist –, dort also haben wir mit einer anderen Zeitlichkeit und einer anderen Spannung zu tun; es ist die Spannung zwischen Jetzt und dem Unendlichen. Das Jetzt ist die Zeit der Fotografie: am Anfang steht immer der eine Moment, die Momentaufnahme der unter griechischem Himmel aufgehängten Figur, der geduldig abgewartete Moment, in welcher sich für die Kamera das richtige Himmel-Blau einstellte, irgendwann zwischen Tag und Nacht. Die Figur steht somit auf der Kippe: zwischen Gestalt und Ungestalt, Schatten und Vision, dem Jetzt und dem Unendlichen, für das Blau in unserem Farbempfinden steht. Die Fotografien geben nur noch beinahe etwas zu sehen, als ginge es um eine Erscheinung. Wird die Figur in der gelben Serie auf dem Boden / an der Wand mit Lack fixiert, so entschwindet sie hier fixiert im fotografischen Abdruck – und entfaltet das Paradox der Zeit in der Kunst.


3. Griechenland

Nirgends, sagen alle, die Griechenland lieben, sei das Licht so stark wie dort. Besonders das Blau. Das Blau der Fotografien ist das echte Blau des griechischen Himmels unter dem die Künstlerin am liebsten arbeitet, es wird intensiviert durch eine Doppelbelichtung, mehr nicht. Ähnlich wie mit dem Gelb sucht Anne-Do Hubert hier eine maximale Wirkung der Farbe. Anne-Do Huberts Arbeiten sind immer philosophisch (Erscheinen und Verschwinden), sie kreisen um etwas Magisch-Optisches (l’heure bleue), sie sind träumerisch-romantisch (eine Figur, die wie im Traum nicht ganz Gestalt werden kann).  Man könnte auch sagen – und das kann ja nur ein Angebot sein – sie sind griechisch. Griechisch in einem postmodernen Sinn , aber ruhend in einem mythologischen Griechenland als Wiege der Kultur, die philosophisch, magisch und damit eben noch nicht ganz geistig, sondern auch sehr körperlich war.
So körperlich, dass die Götter noch auf- und abgingen zwischen Himmel, Erde und Wasser, so sinnlich, dass jedes Wunder einen eigenen Gott hatte: zum Beispiel der Gott des günstigen Moments, der kairos, der immer schon vorbei war, wenn man ihn sah (er wäre, heisst es, nur am Schopf zu packen) und für den die Griechen deshalb kaum ein Bild hatten. Es eignet ihm durch die Bilder zu geistern: Anne Do Huberts Arbeiten sind ein glücklicher Aufenthaltsraum für ihn.