Anne-Dominique Hubert


Rede zur Ausstellung  und Installation  „Un jour – toujours“  Baudepartement Basel 19.5. 2006

Anne-Do Huberts Arbeit, die hier 3-teilig zu sehen ist, kreist um eine zentrale Frage, die im Titel schon angezeigt ist: um die Frage, was bleibt und was verschwindet. Und wenn es verschwinden muss: wie verschwindet es? Diese Frage betrifft die Kunst, die Form der Ausstellung, auch den Ort, wo sie stattfindet: jedes Bauvorhaben hat im wesentlichen mit dieser Frage zu tun. Flüchtigkeit ist aber auch gegeben durch den Modus der Ausstellung, die in Gestalt der femmes lettres und Kissen nur jetzt, heute (pour un jour) hier zu sehen ist – fast wie ein Spuk, eine Epiphanie die vielleicht etwas von ihrem Geist in diesem Raum zurücklassen wird..

Ausgangspunkt/material  dieser Frage des Verschwindens sind bei Anne Do Hubert ganz konkret Briefe, ein privates Briefkonvolut von hoher biographischer Bedeutung. Das macht den privaten Charakter aus, der zu Anne-Do Huberts Kunst gehört und der hier in der ungeschützten Öffentlichkeit des Baudepartements zunächst so verunsichernd wirkt wie die personne, die vor zwei Jahren im Radio Studio Basel ausgestellt waren. Dieser private Charakter hat hier eine ganz präzise Motivation: denn die künstlerische Form, die Anne Do Hubert aus dem privaten Material Briefen entwickelt, hat sehr viel damit zu tun, was Briefe eigentlich sind und wie sie seit jeher aufgefasst werden: als Zwitterform aller Gattungen. Seit der Entstehung des Privatbriefs im 18. Jhd. bemüht sich die Epistolographie deshalb um die Definition des Briefs als Gattung. Man sagt, sie seien zwischen Schrift und Mündlichkeit, zwischen Gebrauchstext und Kunst, zwischen aktuellem und ewigem Wert, Eintagsfliege oder überlieferungswürdiges Dokument. Wohin mit privaten Briefen? Gehören sie dem Moment oder der Ewigkeit? Dem Absender oder dem Empfänger? Sind sie nur an jemanden gerichtet? Gehören sie zur Kunst (und damit zu Öffentlichkeit) oder zum Leben und damit zur Person, die sie betrifft? Diese Frage stellt sich deshalb dem Erben, der Erbin genauso wie dem historischen Archivar, dem Schriftsteller, der Literaturwissenschaft und auch uns allen immer, wenn wir vor der Entscheidung stehen, ob wir unsere Briefe, zumal die alten Liebesbriefe vernichten, mit ins Grab nehmen oder in irgendeine ungewisse Ewigkeit überliefern. Die e-mail hat uns zumindest den Vernichtungsprozess erleichtert: eine Taste genügt und die Post ist gelöscht.

Was Anne -Do Huberts Arbeit aber zeigt ist, dass die Kunst hier mehr kann.Vernichtungsprozesse in der Kunst können Spuren hinterlassen, sie sind Verwandlungsprozesse – das ist ein Thema in Anne Do Hubert Kunst, das sie schon länger verfolgt und das hier eine neue Lösung gefunden hat. Das Verschwinden der konkreten Liebesbriefe der Mutter geschieht hier auf so komplexe und langwierige Weise, das ebensoviel entsteht wie verschwindet. Zunächst sind die Briefe ja aufgelöst und zum Papierkostüm verarbeitet für diese Wesen hier, die in gewisser Weise zu Briefträgerinnen werden, Vermittlerinnen eines Dialogs, der nicht abbrechen will und der dennoch unmöglich ist. Die einzelnen Wörter erinnern nur noch an einen Dialog und sie tragen damit dem Umstand Rechnung, dass weder die Künstlerin noch wir die wirklich Angesprochenen sind. Trotzdem sollen die  handschriftlichenWörter, diese lebendigen Spuren der Mutter, nicht dem Verschwinden preisgegeben werden. Deshalb hat Anne-Do Hubert sie nochmals fotographiert, auf Stoffe gedruckt und zu Wortkissen oder Briefbildern verarbeitet. Interessant wird hier der Prozess der matierellene Transformation: das einstige Blau der Tinte ist bei der Auflösung grün geworden – grün wie eine Hauttätowierung. Und um den Prozess des Verblassens, dem jede Tintenschrift ausgesetzt ist, aufzunehmen und ihm entgegenzuwirken, wurden einzelne Wörter gestickt, eingeprägt, für immer. Dabei treffen Flüchtigkeit und Ewigkeit zusammen: der flüchtige Zug der Handschrift der Mutter trifft sich mit der geduldigen Stickhand der Tochter, die die Liebes-Wörter der Mutter für immer festhält. Und damit – das ist das entscheidende – weggibt. Denn der vermeintlich biographisch-private Akt wird zum künstlerischen Akt durch seine Symbolisierungsfähigkeit. Diese Wörter, die uns aus den Kissen entgegenschimmern oder stechen sind durch die Einarbeitung in ein Bild nicht mehr Fragmente einer privaten Kommunikation, sondern Wortgebilde, die vom Verschwinden der Schrift ebenso erzählen wie von der Zeitlichkeit der Liebe. Sie sind ebenso Zeichen einer Abwesenheit wie Boten einer neuer eindringlichen Präsenz. Das ist Anne Do Huberts subtile Symbolsprache, die ihre Kunst diese überaus komplizierte Frage formulieren lässt, nämlich: was bleibt im Verschwinden. 

Auch die Fotographien der schwebenden Figur tragen diese Signatur des Auftauchens im Verschwinden und formulieren sie im Medium der Photographie neu. Hier geht es um eine andere Zeitlichkeit. Das Klicken des Photoapparats folgt bekanntlich dem Augenblick; ein Blick, ein Klick und nunc stans des Bildes für immer. Das ist das Wesen der Photographie, dem Anne-Do Huberts Serie insofern entgegenwirkt, als hier dem Moment Zeit gegeben wird. Stunden, Tage, den Wechsel der Figur im Licht und im Wind beobachtend, bis zum Entschwinden,  hat sie die eine Figur der femmes lettres als Schwebende aufgenommen. Damit wird die Figur transformiert, sie changiert zwischen Gestalt und Umriss, zwischen Figur und Zeichen. Man könnte fast sagen: Schriftzeichen. Womit sich natürlich ein Kreis schliesst: eine Briefträgerin, die zum Buchstaben wird, mit dem alles wieder beginnen könnte. Das ist die hohe Stimmigkeit dieser Installation, dieser 3-teiligen Konstellation, die leider nur pour un jour hier heute zu sehen ist. Ich möchte sie aber nicht allein in dieser Stimmigkeit angesiedelt sehen. Es geht auch eine Unruhe von ihr aus: diese Wesen sind nicht einfach angenehm, es sind ästhetisch sehr fragwürdige Boten. Kunsthistorisch zu verorten wären sie am ehesten im Kontext weiblicher Kunst wie sie die amerikanische Künstlerin Kiki Smith geprägt hat, mit ihrer exzessiven Befragung des Körpers und seiner Umstülpung ins Äussere. Anns-Do Hubert führt  die Frage des weiblichen Körpers, der als eigener Umriss in den femmes lettres auftaucht, konsequent weiter auf der Linie des Körper-Äusseren: Brief, Papier, Kleid, Photographie, Stoff sind materielle Metaphern des Körperäusseren, der Haut, und diese Metaphorisierung führt vom Körper weg, zu den Inschriften, zu anderen Flächen, Spuren, Figuren und Materialien, die, wie immer man sie bezeichnet, fraglich bleiben: Näh-Puppe, Wesen, Hüllen, Modelle, Briefträgerinnen, Büsten, Denkmäler, Totenseelen, Heiligensäulen: sie entgleiten allen diesen Bezeichnungen. Auch die Kissen, die keine Kissen sind und die Photographien, die wie filmstills wirken: alle Objekte tragen die Signatur ihrer Verarbeitung mit, die sie auf die Kippe des Anschaulich-Stimmigen führen. Diese Kippe ist ästhetisch das, was Kunst von Gestaltung (Bau/Architektur) unterscheidet. Was gebaut und gestaltet wird, sollte nicht mehr fraglich sein, sondern bewohnbar und gebrauchsfähig. Kunst darf immer einen Schritt zurückbleiben oder weitergehen, ihr Unterwegs sein von Form zu Form mittragen. Insofern ist Anne Do Huberts Installation un jour – toujours Ausdruck einer künstlerischen Recherche, eine Befragung dieses öffentlichen-offiziellen Raums, der die Koordinaten von definitiver Form, die Harmonie von Form und Inhalt, von Zeit und Geschichte, sie Selbstverständlichkeit des Raums und seiner Benutzer wenigstens für heute etwas in Frage stellt. Das ist auch die Aufgabe von Kunst in der Öffentlichkeit, die  Anne Do Huberts Arbeit sicher noch in manche andere Räume hineintragen wird.

Silvia Henke, Mai 06
Dr. Silvia Henke
Kulturwissenschaftlerin

Hochschule f. Gestaltung und Kunst
Sentimatt 1, 6002 Luzern
Leitung Abteilung Theorie
Gleichstellungsbeauftragte